Gestern schrieb mir eine Bekannte, die kürzlich ein Baby verloren hat und sich mit der Trauer um ihr Kind sehr alleine fühlt. Ich habe im Vorjahr eine liebe Freundin, ein Kind und meine Katze innerhalb weniger Wochen verloren. Als ich heute meiner Bekannten antwortete, entstand in mir das Bedürfnis, meine Eindrücke in Bezug auf Verlust und Trauer mit euch zu teilen.
Ich beziehe mich im Folgenden auf den Tod von Menschen. Ich selbst fühle auch große Trauer, wenn ich ein geliebtes Tier verliere und bitte alle, denen es ähnlich geht, sich hiermit angesprochen zu fühlen. Sollte sich jemand dadurch vor den Kopf gestoßen fühlen, ersuche ich um Entschuldigung. Für mich sind Mensch und Tier Geschöpfe Gottes. Davon unabhängig sehe ich bei der Trauerarbeit das Hauptaugenmerk auf dem Erleben der Hinterbliebenen. Wer um wen in welcher Intensität trauert, möchte ich nicht beurteilen.
Wenn wir einen nahe stehenden Menschen verlieren, werden wir meist zuerst in eine Art Schockzustand und danach unmittelbar in den Kern unseres Herzens katapultiert. Masken und Mauern fallen und wir finden uns in einem Meer der Emotionen wieder. Je nachdem, ob wir an ein Leben nach dem Tod, also Reinkarnation glauben oder nicht, können wir das Sterben mehr oder weniger als Teil des Ganzen begreifen. Je weiter wir den Tod aus unserem Alltagsdenken verdrängt haben, umso schwerer trifft es uns meist.
An kaum eine Situation im Leben ist ein derart dichtes Bündel an Ängsten, Gefühlen und Erinnerungen gekoppelt wie an jene, einen Menschen zu verlieren. Können wir den Tod grundsätzlich akzeptieren, können wir leichter in die Phase des Abschiednehmens eintreten. Dazu gehören vermutlich bei den meisten von uns die „Filmsequenzen“ vergangener Zeiten, der Schmerz verpasste Möglichkeiten, die große Schwierigkeit, loszulassen, wenn wir das Gefühl haben, es wäre noch etwas offen gewesen.
Können wir den Tod nicht hinnehmen, verzögert sich die Phase des Abschiednehmens und wir finden uns bald in einem destruktiven Gedankenkarussell wieder. Fragen nach dem Warum sind so schmerzhaft und sinnlos wie der Wunsch, statt des geliebten Menschen gestorben zu sein. Das Leben folgt nicht unserer rationalen Logik.
Schlimm wird es, wenn wir im Unfrieden auseinander gegangen sind. Durch den Tod wird uns nicht nur die Unumkehrbarkeit der Situation bewusst. Wir erkennen auch, auf welche Irrwege unser Ego uns wegen Nichtigkeiten führt, die im Angesicht von Geburt oder Tod vollkommen nebensächlich erscheinen. So bekommen wir für einen Augenblick Einblick in das, was wirklich zählt, um es dann oft gleich wieder zu vergessen und uns keineswegs mit allen Lebenden auszusöhnen, mit denen wir noch im Unfrieden sind. Unser Ego ist vollauf mit dem Verlust beschäftigt und suggeriert uns, für alles andere noch Zeit zu haben.
Sobald der erste Schockzustand überwunden ist, den wir oft mit „Beschäftigungs-therapie“ gut überstehen, kann sich die Trauer ufer- und bodenlos anfühlen. Er oder sie ist gegangen. Wir sind noch da. Unsere Aufgabe besteht aus meiner Sicht darin, in Liebe zurück zu blicken, den anderen gehen zu lassen und langsam den Weg ins eigene Leben zurück zu finden.
Es ist schön und hilfreich, Menschen an unserer Seite zu haben, die uns auf empfindsame, empathische Weise beistehen. Menschen, die uns nicht mit ihrem eigenen Fragen-Karussell oder ihrer Hilflosigkeit noch zusätzlich Kraft rauben. Menschen, die uns nicht mit ihrem Versuch, Emotionen und Schmerzen zu verdrängen in ihrer Plumpheit kränken.
Doch was, wenn wir niemand solchen an unserer Seite haben? Dann lernen wir, über uns hinaus zu wachsen. Und selbst wenn wir Wegbegleiter haben: eines Tages müssen wir den ersten Schritt setzen, um allein zurecht zu kommen und wieder heil zu werden. Trauer ist unbedingt notwendig. Sie ist gut und wichtig. Sie kann uns auch aufzeigen, wie authentisch wir leben. Je weniger wir zu bereuen haben, umso näher sind wir uns selbst.
Doch auch wenn wir noch viel vor uns haben: eines Tages sollte die Trauer zu einer leisen Hintergrundmelodie werden und nicht mehr als Hauptthema unseren Alltag übertönen. Es gibt den Begriff des Trauerjahres. Innerhalb dieses Jahres wechseln sich viele Phasen ab. Wir sehen uns alte Fotoalben wieder und wieder an, schließen die Augen und erinnern uns, beginnen zaghaft über den Menschen zu erzählen und in unseren Worten die Realität seines Ablebens auszudrücken und manchmal suchen wir im Vergessen Trost. Wie auch immer wir mit unserer Trauer umgehen, ist wichtig, darauf zu achten, ob sie nach und nach an Schwere verliert. Droht sie, uns zu erdrücken und sind wir auch nach über einem Jahr nicht fähig, Freude und Leichtigkeit im Leben zuzulassen, sollten wir vielleicht etwas genauer hinsehen, was hinter ihr steht.
Ist es wirklich das reine Mitgefühl mit dem verlorenen Menschen oder sind es unsere eigenen Schuldgefühle oder unsere Angst vor dem Sterben, die sich hinter der Trauer tarnen? Trauer ist so individuell wie wir Menschen es sind. Doch ist schön zu wissen, dass möglich ist, eines Tages in Liebe zurück zu blicken und sich mit einem Lächeln an diejenigen zu erinnern, die nicht mehr unter uns weilen. Eine Bekannte sagte einmal zu mir: Das Schöne ist, der Schmerz geht, aber die Liebe bleibt.